20. Mai 2021

Biodiversität

Nischenthema mit hoher Relevanz für Sustainable Finance

Immer mehr Finanzmarktakteure können vielfältige Erfahrungen bei der gezielten Integration von ESG- und Klimaschutzaspekten oder weiteren ethischen und sozialen Themen in ihre Investitionsentscheidungen vorweisen. Geht es jedoch um eine gezielte Berücksichtigung der komplexen Auswirkungen von Investmententscheidungen auf Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen ist das nicht der Fall. Zwar existieren auf Investorenseite bereits die eine oder andere Absichtserklärung über die Wichtigkeit einer Berücksichtigung und auch in den ESG-Ratings der Nachhaltigkeits-Ratingagenturen werden Biodiversitätsthemen bereits integriert. Allerdings ist der Finanzmarkt generell und auch das stark wachsende Sustainable-Finance-Segment von einer konsequenten Integration noch weit entfernt. Im Vergleich zum hohen Stellenwert von Klimaschutzaspekten fristet die Berücksichtigung von Naturkapital und Artenschutz bisher ein Nischendasein bei nachhaltigen Investoren.

Was macht Biodiversität so wichtig? Gesellschaftliches, wirtschaftliches und jedes menschliche Handeln ist fundamental auf funktionierende Ökosysteme angewiesen. Biodiversität – also die (genetische) Vielfalt der Arten, die Zahl der Varianten und die Vielfalt von Ökosystemen – ist wiederum Fundament für viele Ökosystemdienstleistungen und vor allem deren Resilienz auch im globalen Wandel. Immerhin erzeugt eine große Vielfalt auch eine große Anzahl von Redundanzen und ermöglicht alternative Pfade; einzelne, rückläufige Arten in biodiversen Ökosystemen können also ersetzt werden. Aber der immens voranschreitende hohe Verlust an Artenvielfalt und Biodiversität führt zu Instabilitäten, zur Überschreitung von Kipppunkten und sorgt dafür, dass die Gleichung „Ökosysteme sind immer mehr als die Summer ihrer Teile“ in ein nicht mehr wiederherstellbares Ungleichgewicht fällt. Auch sind viele Arten Vorbild oder sogar bis heute Quelle wichtiger Medikamente. So sind beispielsweise 70 Prozent aller Krebsmedikamente pflanzlichen Ursprungs oder synthetische Nachahmungen biologischer Wirkstoffe. Mit jeder verlorenen Art verliert die Gesellschaft somit eine potenzielle genetische Ressource, beispielsweise als Wirkstoff für Medikamente. Momentan gehen Arten – und damit auch Biodiversität – 100 bis 1.000 Mal schneller zurück als in allen bekannten, bisherigen Massenaussterbensereignissen. Fast immer und überall ist der Mensch dafür verantwortlich. Weil er das Klima verändert, das Wasser verschmutzt oder immer tiefer in abgelegene Regionen eindringt. Und viel zu wenig wird beachtet, dass die Zerstörung von natürlichen Lebensräumen einen wichtigen Faktor bei der Übertragung von Viren von Tieren auf den Menschen spielt. Inzwischen ist bestätigt, dass viele der SARS-Seuchen, wie beispielsweise Ebola und wahrscheinlich auch Corona, von wilden Tieren auf den Menschen übergesprungen sind. Es lässt sich herleiten, dass dies in Zukunft häufiger der Fall sein wird, jedenfalls, wenn sich am Schutz der globalen Ökosysteme nicht fundamental etwas ändert. Gleichzeitig ist dieser Schutz ein wichtiger Hebel für eine Verminderung von und Anpassung an Klimaveränderungen und die Umsetzung vieler SDGs – ob Armutsbekämpfung, Hungerverminderung, Wasserverfügbarkeit oder Kreislaufwirtschaft.

Der Erhalt von Biodiversität sollte genauso wie der globale Klimaschutz mit der Priorität „unaufschiebbar“ versehen werden. Globaler Biodiversitätsschutz und -förderung sind gesellschaftlich notwendige Selbstzwecke und genau wie die umzusetzenden Klimaschutzaktivitäten nicht optional für einen Erhalt der Lebensgrundlagen. Das Weltwirtschaftsforum geht davon aus, dass mehr als die Hälfte des globalen Einkommens (also rund 44 Bio. USD) unmittelbar von einem intakten Ökosystem abhängen und dem gegenüber notwendige Ausgaben für Schutzmaßnahme von 150 bis 440 Mrd. USD stehen. Tatsächlich werden jedoch gemäß Angaben des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen von Regierungen, NGOs oder Stiftungen nur 52 Mrd. USD für Schutzmaßnahmen aufgewendet. Es klafft also eine immense Finanzierungslücke, die nur durch privates Kapital geschlossen werden kann.

Die bisher mangelhafte Berücksichtigung von Biodiversitätsaspekten – und dazu gehören die Sichtbarmachung finanzieller Risiken in den Portfolien genauso wie Beiträge zur Reduktion von Biodiversitätsrisiken – wird vom Finanzmarkt unter anderem auf eine mangelnde Datenverfügbarkeit und -qualität sowie die weitestgehend nicht ausgereiften Methoden zur Identifizierung, Messung sowie Integration von Biodiversitätsrisiken zurückgeführt. Trotzdem existieren bereits heute Möglichkeiten für nachhaltige Investoren. So gelten Flächennutzungsveränderung und -versiegelung, Klimawandel, Nährstoffeinträge und invasive Arten als die größten Risiken für Biodiversität. Und genau diese negativen Treiber könnten durch den Ausschluss bestimmter Geschäftsaktivitäten oder Branchen, eine gezielte Bevorzugung von exponierten Unternehmen mit positivem Umwelt- und/oder Biodiversitäts-Score und ambitionierter Klimastrategie oder ein gezieltes Engagement mit Fokus auf Biodiversitätsaspekte forciert werden. So ist die für nachhaltige Finanzprodukte als verbindliches Rahmenwerk geltende EU-Taxonomie mit ihren bis Ende 2021 zu fixierenden Prüfkriterien zum Schutz von Ökosystemen und Biodiversität ein Schritt in die richtige Richtung. Aber auch ESG-Ratingagenturen können einen Beitrag leisten, indem Bewertungsmethoden verbessert werden, um für Investoren sichtbar zu machen, welche expliziten (negativen) Folgen für Biodiversität mit Investments in bestimmte Unternehmen einhergehen. Entsprechende Vorarbeiten sind von der Task Force on Nature-related Financial Disclosures (TNFD) zu erwarten, einer informellen Arbeitsgruppe, die sich im Sommer 2020 gegründet hat und zu deren Mitwirkenden neben supranationalen Organisationen, Staaten, NGOs und Expert*innen auch Finanzmarktakteure gehören.

Trotz der Möglichkeiten des Finanzmarktes, indirekt Einfluss zu nehmen und positive Beiträge zu leisten, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass gerade Politik und auch die Realwirtschaft in diesem Thema verbindlicher werden müssen. So sind genauso wie im Klimaschutz verbindliche politische Rahmenbedingungen auf globaler, nationaler und regionaler Ebene unabdingbar, wie auch ein höheres Engagement gerade derjenigen Unternehmen, für die aufgrund ihrer Geschäftstätigkeit Biodiversitätsaspekte zu den zu bearbeitenden materiellen Nachhaltigkeitsthemen gehören.

Markus Grünewald

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