Blog - Marktforschung für den grünen Finanzmarkt

Soziale Erwünschtheit
– Klima, Menschenrechte, Sozialstandards


September 2021

Die „soziale Erwünschtheit“ ist in der Marktforschung ein gut bekanntes, aber nur selten wirklich beachtetes und konsequent berücksichtigtes Phänomen. Gerade im Umfeld des grünen Finanzmarktes, in dem es eben nicht nur um die Rendite, sondern auch um Themen wie Klimaschutz, Menschenrechte und Sozialstandards geht, sind einige Studienergebnisse mit Vorsicht zu genießen. Würden Sie einen Fonds kaufen, der in Unternehmen investiert, die gegen Menschenrechte verstoßen? Nein, sicher nicht. Oder vielleicht schon, denn in aller Regel wissen Sie es ja gar nicht. Wenn Ihnen aber in einer Marktforschungsstudie diese Frage gestellt wird, wie reagieren Sie dann? Nein, kaufe ich auf keinen Fall, ist die erwartbare Standardantwort.

 

Kontrolle über „soziale Erwünschtheit“ ist möglich

Wie kann man das Phänomen „soziale Erwünschtheit“ bei Marktforschungsstudien im grünen Finanzmarkt vermeiden? Es gibt drei Ansatzpunkte:

  • Fragen möglichst neutral formulieren
  • Gegenteilige Statements / Aussagen einbauen (KontrollFragen)
  • Rechnerisch den Faktor „soziale Erwünschtheit“ eingrenzen

Während sich die ersten beiden Punkte von selbst erklären, bzw. durch erfahrene Fragebogengestaltung umgesetzt werden können, wird die dritte Möglichkeit nach unseren Beobachtungen in Studien zum grünen Finanzmarkt sehr selten genutzt.

 

Wer neigt zu „erwünschtem Antwortverhalten“?

Wir greifen dabei auf eine wissenschaftlich geprüfte deutsche Kurzskala zur zweidimensionalen Messung von sozialer Erwünschtheit zurück. (1) Durch die Entwicklung dieser für bundesdeutsche Bevölkerungsumfragen geeigneten Kurzskala ist es möglich, Verzerrungen im Antwortverhalten zu kontrollieren. Die verwendete Item-Batterie identifiziert Personen, die zu sozial erwünschten Antworten neigen. In anschließenden Berechnungen können Fragen, Items identifiziert werden, bei denen sich das Antwortverhalten dieser Gruppe von dem der anderen signifikant unterscheidet. Die Items können eliminiert werden, oder der Verzerrungsfaktor kann rechnerisch berücksichtigt werden.

 

Online reduziert „soziale Erwünschtheit“

Aber, dank Corona, gibt es auch eine gute Nachricht. Unsere Beobachtungen in Online-Befragungen bestätigen die Hypothese, dass auch der Modus der Datenerhebung das Auftreten von sozialer Erwünschtheit beeinflusst. Befragte zeigen eine deutlich geringere Tendenz zu sozial erwünschtem Antwortverhalten, wenn die soziale Distanz hier im Sinne von physischer Nähe bzw. Anwesenheit - zwischen ihnen und dem Interviewer gering ist (2).

 

Beispiel: Live-Chats mit Käufer*innen grüner Wertpapiere

In den letzten Wochen haben wir Live-Chats mit Wertpapierkäufer*innen durchgeführt. Es ging um „nachhaltige Wertpapiere“, aber auch um die „Qualität der Beratung“ und auch die Einschätzungen zu verschiedenen „Investmentgesellschaften“ wurden zur Diskussion gestellt. Auftraggeber war eine konkrete Investmentgesellschaft und selbstverständlich haben wir dies den Teilnehmer*innen zu Beginn der Chats explizit vorgetragen. Wie kann die „soziale Erwünschtheit“ von zu positiven Antworten in Richtung dieser “genannten Investmentgesellschaft“ vermieden werden? Nicht einfach! Unser Vorgehen: Wir haben dies im Rahmen des online geführten Chats aktiv angesprochen:


"Wir hatten eingangs erwähnt, dass wir diese Studie für die „Name Investmentgesellschaft“ durchführen. Vielleicht waren ihre Antworten deshalb zu „nett“ oder zu „kritisch“, was diese Gesellschaft angeht. Deshalb noch einmal nachgefragt. .."

"Was spricht aus Ihrer Sicht für und was spricht gegen die „Name Investmentgesellschaft“, wenn es darum geht, einen nachhaltigen Investmentfonds erfolgreich zu managen?"

"Haben Sie Beispiele, konkrete Erfahrungen mit „Name Investmentgesellschaft“? Nur zu: Lob und Kritik sind erwünscht!"


Selbstverständlich ist es immer wieder eine Frage der Interpretation, ob die Antworten, die nach diesen drei Impulsen kamen nicht auch durch das Setting beeinflusst waren. Aber die anonymisierte Situation von online durchgeführten Live-Chats in Verbindung mit umsichtigen Moderatorenbeiträgen kann die „soziale Erwünschtheit“ im Antwortverhalten weitgehend eleminieren.

 

 

 


ANMERKUNGEN

1) Niels Winkler, Martin Kroh, Martin Spiess (2006): (Entwicklung einer deutschen Kurzskala zur zweidimensionalen Messung von sozialer Erwünschtheit Discussion Papers Berlin, Mai 2006)

(2) Bogner, Kathrin und Landrock, Uta (2015): Antworttendenzen in standardisierten Umfragen. Mannheim, GESIS Leibniz Institut für Sozialwissenschaften (GESIS Survey Guidelines). DOI: 10.15465/gesis-sg_016

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Letzte Änderung: 10.09.2021