Gar nicht gemerkt.


Es ist für manche immer noch ein Aufreger: Gendergerechte Sprache. Natürlich ist es trotzdem richtig, alle respektvoll anzusprechen. Wie also diesem Dilemma entkommen?

Was einige stört, ist das Gender-Gap: die geschriebene oder gesprochene kleine Unterbrechung. Sie ist ungewohnt - und wir sind ja bekanntlich alle Gewohnheitstiere. Allerdings: Häufig geht es auch ganz ohne Sternchen. Vielleicht steigt dadurch ja die Akzeptanz, wer weiß?

Der Ansatzpunkt ist - wie so oft, wenn über eine frischere Sprache nachgedacht wird - der Nominalstil. Die meisten Sternchen finden sich da, wo mit Hauptwörtern gearbeitet wird. Die Faustregel ist: Je mehr ich am Hauptwort hänge, desto mehr Gender-Gaps muss ich einsetzen.

Was genau ist der Trick? In vielen Hauptwörtern hat sich eigentlich ein anderes Wort versteckt: Das kann ein Verb, ein Adjektiv oder auch ein Personalpronomen sein. Und schon tut sich ein ganzer Werkzeugkasten auf, den wir einfach nutzen können. Ganz mühelos.

  • Verben
    "Wer teilnimmt, erhält ein Zertifikat." Dieser Satz kommt ohne Sternchen aus, weil ja "teilgenommen" wird – und das ist ein Verb. Positiver Nebeneffekt: Solche Subjektsätze betonen die Aktivität.
    Und wenn es doch unbedingt ein Substantiv sein soll, lässt sich aus dem Verb auch das Partizip ableiten: "Die Teilnehmenden erhalten ein Zertifikat."
  • Adjektive
    "Und unser fachlicher Rat ist immer inklusive." Gar nicht darauf geachtet, von welchem Geschlecht die Expertise ausgeht? Das liegt daran, dass hier einfach die Eigenschaft benannt wurde. Auch Adjektive können ein gutes Mittel sein, dem Nominalstil zu entkommen.
  • Pronomen
    "Sie sind herzlich willkommen!" Das gilt für jeden, jede oder jede*n – also einfach für alle :). Es ist die schönste, weil menschlichste aller Alternativen: das Personalpronomen. Und wenn es heißt: "Sprechen Sie uns einfach an - wir freuen uns auf Sie!", dann spielt keine Rolle, welches Geschlecht die Person hat, die da freundlich lächelt.
  • Weglassen
    "Bei uns bekommen Sie den besten Service." Besteht ein Zweifel, für wen dieser Service gedacht ist? Nein? Dann können wir uns sparen, klarzustellen, dass es die Kund*innen sind, die den besten Service von uns bekommen.

Warum rühren wir solchen sprachlichen Beton überhaupt an? Um letzte Zweifel auszuräumen – in unserem Beispiel, um welchen Service es konkret geht. Diesem Sicherheitsdenken opfern wir dann die sprachliche Leichtigkeit – und kommen stattdessen schwerfällig im Nominalstil, mit zusammengesetzten Hauptwörtern daher. Und wenn dann dieses Bandwurmwort auch noch gendergerecht gestaltet werden soll, finden wir aus dem Behörden-Dschungel einfach nicht mehr heraus. Daher: Einfach weglassen.

 

Autor und Ansprechpartner

 

Andreas Schielke
Senior Consultant und Trainer

schielke@imug.de
+49 511 12196 23

 

... ist ausgebildeter Lehrer und Geisteswissenschaftler. Viele Jahre war er Führungskraft und Trainer im Customer-Care. Für die imug Beratungsgesellschaft ist er als Senior-Berater und Trainer im Bereich imug|customer tätig. Er qualifiziert, trainiert und coacht Mitarbeitende im Service.

Als Berater analysiert bzw. optimiert er die Kommunikation für Unternehmen aus verschiedenen Branchen und entwickelt neue Service-Konzepte.

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Ganz schön harter Tobak, der Tonfall in dieser Beschwerde, oder? Bei aller Professionalität ist niemand davor sicher, eine Beschwerde persönlich zu nehmen. Vor allem nicht, wenn manche Formulierungen als unangemessen empfunden werden. Aber was sollte eigentlich gesagt werden? Was genau ist mit "Ihr seid doch ein Saftladen!" gemeint? Vielleicht: "Bitte hilf mir!"? Immerhin hat sich die Person ja gemeldet - wenn auch vielleicht nicht auf angenehme Weise. Sie gibt uns also eine Chance zu reagieren. Wir sollten sie nutzen - ganz ohne erhobenen Zeigefinger.

Wie kommen frische, verständliche und menschliche Texte eigentlich zustande? Die Amplitude der Ideen dazu ist erstaunlich.
Die einen möchten – nachdem der Senior endlich in den Ruhestand gegangen ist - erst einmal den steifen, schriftdeutschen und unpräzisen Nominalstil loswerden. Und können es gar nicht abwarten, endlich selbst loszulegen. Hier gilt es, die Kreativität in die richtigen Bahnen zu lenken.

 

Gerhard Richter, der Maler. Es gibt Bilder von ihm, die wirken wie Fotos. Wer aber ganz genau hinschaut, merkt: Es ist gar nicht so scharf wie gedacht. Das Signal ist gestört. Durch unerwünschte Informationen. Kunstvoll von Richter hinzugefügt. Das gibt es auch bei Texten, nur nicht so kunstvoll. Können Texte rauschen?
Ja. Und zwar genauso wie Bilder: Immer dann, wenn das Signal, die Botschaft, die Kernaussage nicht durchdringen.